Island im März 2013. Nach stürmischen und verschneiten Wintertagen war die Prognose des isländischen Wetterdienstes heute optimistisch. In der Nacht sollte es stellenweise aufklaren. Gleichzeitig gab es eine vielversprechende Polarlichtvorhersage. Im Internet studierten wir auf Satellitenbildern die Wolkenbewegung der nächsten Stunden.
Wir suchten uns einige Orte heraus, die bewölkungsfrei werden sollten und gleichzeitig eine interessante Kulisse für die Aurora Borealis versprachen. Unsere Wahl fiel schließlich auf Jökulsárlón, eine Gletschereislagune am Südrand des Vatnajökulls, des größten Gletschers Europas.
Im letzten Abendlicht nahm ich die eindrucksvolle Naturkulisse des Schmelzwassersees in Augenschein. Ich lief umher und probierte immer wieder verschiedene Fotostandorte aus. Am verheißungsvollsten erschien mir eine Erhebung oberhalb der Lagune. Diese Stelle war zwar recht steil und damit ziemlich unbequem, belohnte dafür aber mit einem weiten Blick über die Lagune mit ihrem Treibeis und die in der Ferne liegenden, schneebedeckten Bergketten. Ich baute meine Ausrüstung auf.
Wichtig für die Polarlichtfotografie sind ein lichtstarkes Objektiv mit möglichst geringer Brennweite und eine Kamera mit einem rauscharmen Sensor. Auf Grund der langen Belichtungszeiten sind außerdem auch ein stabiles Stativ und Fernauslöser unverzichtbar. Für mein nächtliches Vorhaben entschied ich mich für die Kombination aus der Nikon D800 und dem exzellenten Weitwinkel Nikkor 14–24 f/2.8. Angesichts des Windes in der Lagune war ich froh, erst vor einiger Zeit in ein Karbonstativ von Gitzo investiert zu haben. Obwohl dieses sehr leicht ist, bleibt es auch unter widrigen Bedingungen ziemlich stabil.
Nun galt es abzuwarten. Wie vorhergesagt klarte es mit Einbruch der Dunkelheit fast vollständig auf. Es wurde eine kalte, aber sternenklare Nacht. Da der Mond erst gegen 2 Uhr morgens aufgehen würde herrschte fast komplette Dunkelheit. Nach gut 2 Stunden des Wartens begann gegen 22 Uhr schließlich das Himmelsschauspiel. Erst zaghaft, dann immer wilder zeigte sich die Aurora Borealis in ihrer anmutigen Schönheit. Minutenlang am Himmel verharrende Leuchtbänder gaben sich ein Stelldichein mit auf und ab tanzenden Lichtmustern, die manchmal nur Sekunden währten. Wir hatten Glück, denn neben dem am häufigsten auftretenden Neongrün mischten sich auch immer wieder rote und violette Farbtöne in das Polarfeuerwerk.
Die fotografische Herausforderung bestand nun darin, die richtigen Einstellungen in der Dunkelheit zu finden. Ich brauchte mehrere Versuche, bis ich die Eisberge mit Hilfe einer LED-Taschenlampe scharf fokussieren konnte. Natürlich liegen die Eisberge auch nicht still im Wasser, sondern bewegen sich, so dass die mühevoll erarbeiten Einstellungen der letzten Minuten kurze Zeit danach schon wieder hinfällig sein konnten.
Als nächstes galt es die richtige Belichtung zu finden. Auch das stellte sich als echte Geduldsprobe heraus, denn auf Grund des fehlenden Mondes war zwar das Polarlicht ausgezeichnet zu sehen, aber der Vordergrund extrem dunkel. Für die richtige Lichtbalance musste ich einerseits lange genug belichten, um die nächtliche Lagune noch erkennbar abzubilden. Gleichzeitig durfte ich aber auch nicht zu viel Licht auf den Sensor lassen, um die Struktur des Polarlichts zu erhalten und ein „Ausbrennen“ des Himmels und die Bildung von Sternenspuren auf dem Foto zu vermeiden. Bei aller Faszination für das nächtliche Lichterspektakel durfte ich mir dafür auch nicht allzu lange Zeit lassen. Schließlich musste ich ja jederzeit damit rechnen, dass die Polarlichter genauso schnell wieder verschwinden würden, wie sie gekommen waren.
Als wäre meine Konzentration nicht bereits zur Genüge gefordert, galt es dann noch eine Herausforderung der besonderen Art zu bewältigen. Unserer Art nämlich. Dann und wann hallte ein gellender Schrei durch die eisige Nacht . Nein, das war nicht etwa ein Wolf, der den bunten Nachthimmel anheulte. Auch kein Polarfuchs. Es war einfach ein anderer Naturfotograf, dem ein Kollege wohl gerade wieder eine Langzeitbelichtung versaut hatte. Bedingt durch den guten Forecast und die Bekanntheit des Spots, hatten sich in dieser Nacht ungefähr ein Dutzend weitere Fotografen hier eingefunden. Na prima.
Nicht, dass es in der weitläufigen Lagune Platznot gäbe. Wir hatten diesen Ort aber bewusst auch deshalb ausgesucht, weil er weit genug von größeren Siedlungen entfernt liegt und damit keine nächtliche Lichtverschmutzung zu befürchten war. Und nun? Als solle ein Gegenpol zum illuminierten Himmel geschaffen werden, blendete dort ein LED-Lenser, funzelte hier eine Stirnlampe und leuchtet da ein gleißendes Kameradisplay. Es grenzte an ein Wunder, dass niemand auf die Idee kam, auch noch seine Studioblitzanlage aufzubauen.
Jedes der sich mit Nachtfotografie auskennt, weiß, dass derartige Lichtquellen im Bild die Belichtung zerstören. Und so hätte auch ich so manches Mal schreien können. Aus Respekt vor der andächtigen Naturszenerie verzichtete ich aber. Nach gut zwei Stunden beschloss ich jedoch, der nächtlichen Ansammlung zu entfliehen. Auf der Karte hatte ich einen nahe gelegenen und wenig bekannten Schmelzwassersee entdeckt. Und so verschwanden wir in die menschenleere Dunkelheit, nicht aber ohne noch dieses Foto gemacht zu haben.
Aufnahmedetails: Nikon D800, Nikorr 14-24/2.8, ISO 1.600, 30 Sekunden, f/2.8
Nachtrag: Dieses Bild sowie ein weiteres Island-Motiv von mir sind kürzlich unter die Gewinner des diesjährigen EuroNatur-Fotografiepreises gewählt worden. Dadurch werden beide in diesem Jahr bei mehreren Ausstellungen, unter anderem auf dem Tollwood-Festival in München, gezeigt werden. Sobald ich genauere Informationen erhalte, berichte ich davon im Blog.