Die Landschaftsfotografie des Monats kommt dieses Mal von der kleinen, aber sehr beeindruckenden Kanaren-Insel La Gomera. Während auf der wesentlich größeren Schwester Teneriffa der Massentourismus schon vor Jahrzehnten Einzug gehalten hat, ist La Gomera noch so etwas wie ein Geheimtipp, zumindest für Kanarische Verhältnisse.
Das mag an ihrer Größe und den begrenzten Übernachtungskapazitäten liegen. La Gomera ist die zweitkleinste der zu Spanien gehörenden Kanarischen Inseln. Bettenburgen und All-Inclusive-Ressorts? Fehlanzeige – zum Glück. La Gomera tickt auch sonst anders und ist wahrsten Sinne des Wortes ziemlich alternativ. Das weitauslaufende Tal Valle Gran Rey ist nämlich bis heute ein Mekka für alte und neue Hippies aus aller Welt, die vor allem am Strand und am Hafen nicht zu übersehen sind. Vorbei an den saftigen Weinhängen des weiß getünchten Dorfs La Calera führt es hinunter zu den dunklen steinigen Sandstränden am Atlantik.
Grün ist auch sonst charakteristisch für die Insel. Typisch ist eine etwas an Hawaii erinnernde, stark zerklüftete vulkanische, saftig grüne Gebirgslandschaft. Im Dauernebel des sehr hoch gelegenen Nationalparks Garajonay wachsen dichte Urwälder aus Farnen und moosbedeckten Lorbeerbäumen. Jurassic Park lässt grüßen. Ein anderes, dazu passendes Highlight sind archaisch wirkende, riesige Felsmonolithen aus vulkanischem Gestein. Der bekannteste und imposanteste von ihnen befindet sich in der Inselmitte direkt am Rand des dunstigen Nationalparks. Unter dem Namen Roque de Agando ragt er wie ein steinerner Zuckerhut beachtliche 1.251 Meter in den Himmel. Der ehemalige Vulkanschlot besteht aus Phonolith und ist Teil der Felsgruppe Los Roques („die Felsen“), zu der neben dem Agando auch der Roque de la Zarcita, der Roque de Carmona und der Roque de Ojila zählen.
Als wir unsere Reise nach La Gomera planten, war dieser beeindruckende prähistorische Felsen natürlich mein absolutes Must-see. Aufgrund eines meteorologischen Phänomens namens Calima (Sandsturm aus der Sahara) konnte ich aber leider seit unserer Ankunft kaum die Hand vor Augen sehen, geschweige denn Fotos aufnehmen. Noch übler war es oben in den Bergen, denn hier vermischte sich der Calima noch mit dem Nebel aus dem Regelwald. Keine Spur von den Roques, man konnte sie allenfalls in der dichten Nebelsuppe erahnen. Jeden Sonnenuntergang, jeden Sonnenaufgang nahm ich den langen, kurvigen, nebligen Weg nach dort oben auf mich. Irgendwann müsste es doch wenigstens einmal für eine paar Minuten mit der Sicht klappen. Doch der hartnäckige Nebel verschwand einfach nicht. Wir waren ein wenig deprimiert und trösteten uns mit dem außerordentlich köstlichen Rebensaft aus dem Tal des großen Königs. Außerdem entdeckten wir noch ein neues Lieblingsgetränk namens Barraquito, ein leckeres kanarisches Kaffeegetränk. Formvollendet türmen sich die verschiedene Schichten aus gezuckerter Kondensmilch, Likör, Espresso und Milchschaum im Glas aufeinander, ohne sich zu vermischen – ein optisches und kulinarisches Kunstwerk und schön wärmend bei diesem kühl-nassen Wetter.
Auf dem Rückweg zum Flughafen in San Sebastian sollten wir den geheimnisvollen Ort noch ein letztes Mal passierten. Ein wenig enttäuscht war ich schon von diesem Trip. Eine Woche La Gomera, atemberaubende Landschaften auf Schritt und Tritt. Doch auf Grund des Calimas habe ich kein einziges passables Foto aufgenommen, geschweige denn eines von den Roques. Und dann passierte fast ein Wunder. Die Natur zeigte sich gnädig und offenbarte uns doch tatsächlich noch einen ersten und letzten Blick auf den Roque Anando. Garniert wurde die Begegnung mit einem geheimnisvollen, durch den Calima gedimmten Morgenrot. Aufgeregt sprang ich aus dem Mietwagen und fotografierte schnell noch einige Perspektiven. Ich musste mich beeilen. Denn nur zwei Stunden später legte unsere Fähre nach Teneriffa ab. Als wir den Hafen von San Sebastian verließen war ich wieder versöhnt. Ich flätzte mich zufrieden in den Liegestuhl auf dem Oberdeck und ließ mir den starken Barraquito munden.