Der italienische Herbst meint es gut mit uns. Keine einzige Wolke verirrt sich am stahlblauen Alpenhimmel. Die warme Oktobersonne taucht die majestätische Landschaft der Sextener Dolomiten in ein goldenes Licht. Es ist schon Nachmittag, als wir vom Fischleintal zu unserem heutigen Fotoziel aufbrechen. Dieses liegt noch gut 1.000 Höhenmeter von uns entfernt und gilt als eines der schönsten Felsmassive Europas: die Drei Zinnen.
Vom Fischleinboden laufen wir bis zur Talschlusshütte. Das leuchtende Nadelkleid der Lärchen beschwingt uns. Auf dem Wanderweg 102 gelangen wir dann in das wildromatische Altensteintal. Von dort geht es an der Einserkofel-Nordwand südwestlich immer steil hinauf. Als wir nach gut 2,5 Stunden den ersten der drei Zinnenseen erreichen, würde wir am liebsten sofort hineinspringen. Trotz der vorangeschrittenen Jahreszeit ist uns nach der steilen Wanderung ziemlich warm. Das türkise, glasklare Wasser sieht verlockend aus. Schroffe Felswände spiegeln sich geheimnisvoll auf der ruhigen Wasseroberfläche. Die Sonne steht aber schon tief, die Bergspitzen werfen bereits lange Schatten. Wir verschieben unsere Rast also bis zur Drei-Zinnen-Hütte am Toblinger Riedel.
Als wir schließlich oben auf 2.405 Metern ankommen, sind wir überwältigt. Die eigentlich ziemlich massive Hütte wirkt vor den monumentalen Kalksteintürmen der Tre Cimes wie ein Puppenhaus. Wir sind auch überrascht. Denn wir hatten gelesen, dass das Refugio an manchen Tagen von bis zu 2.000 Gästen besucht wird. Zu dieser Jahreszeit ist die Hütte aber längst geschlossen. Und so teilen wir uns die leere Terrasse samt grandiosen Ausblick nur mit eine Gruppe Kletterer, die aber schon bald den Heimweg anbrechen.
Für uns hingegen geht es jetzt erst so richtig los. Von der Hütte laufen wir noch für einige Minuten, bis die monumentalen Felstürme direkt vor uns in den Himmel ragen. Da steht sie nun, die sagenumwobene Trilogie aus Stein, teilt die atemberaubende 360-Grad-Rundumsicht mit uns ganz allein.
Haben wir einfach Glück oder hat es sich wieder ausgezahlt, dass wir unsere Routen oft antizyklisch planen? Keine Menschenseele weit und breit. Auch sonst keine Lebewesen. Kein Windhauch, nicht das kleinste Geräusch begleitet unser intimes Stelldichein mit Mutter Natur. Die Stille ist so gewaltig, so einnehmend, das es fast schon unheimlich wird Wie hypnotisiert starre ich auf dieses Kunstwerk der Natur. Und kann kaum glauben, dass dies hier das am meisten fotografierteste Bergmassiv in Europa sein soll.
Ein fantastischer Weitblick, totale Windstille und das Farbspektakel des Abendhimmels bieten heute grandiose Bedingungen zum Fotografieren. Der Sonnenuntergang bringt die Felsen zum Leuchten, verwandelt die Gebirgsszenerie in eine Märchenlandschaft. Die blaue Stunde taucht die Bergketten am Horizont in ein zartes Violett. Schließlich kündigt das Blinken der Venus die hereinbrechende Nacht an. Ein überwältigender Sternenhimmel krönt die Impressionen der letzten Stunden. Es sind diese Momente für die ich die Landschaftsfotografie liebe.
Am liebsten würde ich hier gleich übernachten, zu fasziniert bin ich von der Kulisse, zu gut die heutigen Bedingungen. Meine mittlerweile etwas unruhige bessere Hälfte und der noch vor uns liegende lange Abstieg im Dunkeln belehren mich eines Besseren. Und es ist jetzt bitterkalt geworden. Als wir schon weit nach Mitternacht unsere Unterkunft erreichen, fallen wir erschöpft aber glücklich auf unser Bettenlager.