Das Elbsandsteingebirge ist zweifelsohne eine der imposantesten Naturlandschaften Deutschlands und für uns Landschaftsfotografen ein wahres El Dorado. Deshalb bin ich mehrmals im Jahr hier. Am liebsten komme ich im Herbst, wenn das bunte Blätterdach und der dann häufige Nebel, der ohnehin schon märchenhaften Landschaft ein wahrlich mystisches Antlitz verleihen.
Einer meiner Lieblingsorte dieser Region ist der Kuhstall, ein imposantes Felsentor, das nach dem Prebischtor auf der böhmischen Seite das zweitgrößte seiner Art im Elbsandsteingebirge ist. Es befindet sich auf dem Neuen Wildenstein, einem 337 m hohen Felsen. Der etwas eigentümliche Name ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass die Menschen während des Dreißigjährigen Kriegs ihre Tiere vor den gegnerischen schwedischen Soldaten in der voluminösen Felsenhöhle versteckten. Im Mittelalter thronte hier die Burg Wildenstein, denn der weite Ausblick war natürlich ein strategischer Vorteil.
Heute sind von der stolzen Burg nur noch die Grundsteine übrig und es reiten auch keine edlen Ritter auf ihren Rössern mehr durch die Felsenkulisse. Dafür ziehen jetzt die Fotografen mit ihren Fotorucksäcken und Stativen durch die Landschaft und sind mindestens ebenso angetan vom grandiosen Ausblick, den man vor allem auf dem Kuhstall hat. Dieser hat auch 600 Jahre später nichts von seiner Anziehungskraft verloren und ist zum Glück nach wie vor unverbaut und frei von Zivilsationszeugnissen, was gerade in dieser recht dicht besiedelten Region eher selten ist.
Um auf den Kuhstall zu kommen, steigt man die sogenannte Himmelsleiter hinauf, eine ziemlich steile Stahltreppe, die ungefähr in der Mitte des Felsens durch einen schmalen Felsspalt nach oben führt. Wenn man nicht gerade an Platzangst, Höhenangst oder Adipositas leidet, ist das kein Problem. Als Fotograf sollte man nur tunlichst auf sein Stativ aufpassen, vor allem, wenn einem noch andere Menschen folgen.
Einmal oben angekommen, eröffnet sich einer der schönsten Panoramablicke über die Sächsische Schweiz. Unter sich sieht man weite, wilde Mischwälder, aus denen immer wieder einzeln stehende Felsen aufsteigen. Im Osten blickt man auf die Lorenzsteine, im Süden auf die Schrammsteine und südwestlich erblickt man schließlich die Affensteinkette mit dem Kleinen Winterberg und dem Frienstein.
An diesem Sonntagabend war ich der einzige Besucher. Das lag wohl vor allem am üblen Wetter. Es hat mehr oder weniger den ganzen Tag geregnet. Ich hatte gehofft, dass sich zum Abend die Wolkendecke doch noch mal etwas öffnen würde. Doch einmal mehr umsonst gehofft, die Natur ist schließlich kein Wunschkonzert und so wurde es nichts mit dem herbstlichen Abendlicht. Meine ursprüngliche Fotoidee, die Szenerie bei Sonnenuntergang mit glühenden Wolken und leuchtenden Nebelschwaden festzuhalten war also eindeutig obsolet geworden.
Aber immerhin: just in dem Moment als ich über die Himmelsleiter geklettert war, begann sich langsam aber stetig Bodennebel zu bilden. Erst nur ganz zaghaft, kleine Wattebällchen, die durch die bunten Baumkronen unter mir schwebten. Dann immer breitere, wabbernde Schwaden, die sich wie Kokone um die Felsen vor mir legten. Als die Sonne schließlich (zumindest der Uhrzeit nach, denn man sah sie ja nicht) untergegangen war, färbte sich der Himmel in ein intensives, geheimnisvolles Blau. Nach einer halben Stunde war schließlich das ganze Tal komplett verschleiert und es wurde schlagartig dunkel. Zeit, meine Fotosachen zu packen. Und so wanderte ich denn zwar nicht ganz verrichteter Dinge, aber dennoch durchaus zufrieden, durch die stockfinstere Nacht ins Kirnitzschtal zurück.