Schottland im Mai 2013. Der alte Mann von Storr schafft es nur behäbig, sich aus den Fängen seines schweren Nebelmantels zu befreien. Die gewaltige Felsnadel überragt die Hebriden-Insel Skye seit Jahrmillionen. Das stolze Wahrzeichen beeindruckt schon aus weiter Ferne, wenn man sich die kurvige Küstenstraße von Portree in Richtung Quiraing hinaufschlängelt. Auf Postkarten ist das so. Wir stehen direkt vor dem grimmigen Greis aus Granit und erkennen ihn dennoch kaum.
Gut eine Stunde dauert die ungemütliche Wanderung steil bergauf. Direkt durch die Wolken, auf schlammigen Pfaden und über Geröllfelder. An schönen Tagen gewiss eine grandiose und nicht zu schwere Tour. Noch zu Hause hatte ich hier Touristenströme befürchtet. Unser einziger Begleiter aber ist heute der Sturm, der mit Stärke 10 an unserer Ausrüstung und an unseren Nerven zerrt. Unsere Regenklamotten dampfen vor Feuchtigkeit. Jetzt wissen wir, warum Skye auf gälisch „An t-Eilean Sgitheanach – die Nebelinsel“ genannt wird.
Skye gilt als das eindrucksvollste Eiland der Inneren Hebriden, lange hatte ich mich auf sie gefreut. Die schroffe Schönheit ist legendär und als Reisedestination gerade unter Landschaftsfotografen beliebt. So eilt der dramatische Kulisse von Elgol Beach der Ruf einer ausgezeichneten Fotolocation voraus. Zufällig hatte ich kurz vor der Abreise einen Artikel von Kollege Michael Breitung gelesen. Bei seinem Trip nach Elgol sind sich die Fotografen fast gegenseitig auf die Füße getreten. Ich befürchtete das Schlimmste. Doch es kommt schlimmer. Keinen einzigen Gleichgesinnten treffe ich am Strand. Stattdessen peitscht mir der wütende Hagelregen ins Gesicht. Es sind noch gut zwei Stunden bis zum Sonnenuntergang. Theoretisch. Denn von der Sonne ist weit und breit nichts zu sehen. Es ist es stockfinster. Die Black Cuillins, zerklüffete Gebirgsketten am Horizont, verleihen der Szenerie normalerweise ihren magischen Nimbus. Sie sind heute nicht einmal zu erahnen.
Nach einer feuchtkalten Stunde des Ausharrens und zwei Stürzen auf den aalglatten Steinen, gebe ich auf. Durchnässt sitze ich eine halbe Stunde später vor der wohligen Wärme des flackernden Kamins. Da das heutige Strandshooting ausfallen muss, habe ich das spontane Angebot einer Whiskyverkostung unserer Gastgeberin gern angenommen. Claire kann gar nicht verstehen, warum wir noch keine einzige Destillerie besucht haben. Zwischen Talisker und Glenlivan gebe ich ihr zu verstehen, dass wir unsere Tour etwas anders organisiert haben, als sie das vielleicht von den meisten ihrer Gäste gewohnt ist.
Tatsächlich hatten wir unsere Route nahezu akribisch vorbereitet. Für jeden Morgen und jeden Abend hatten wir uns einen Fotostandort herausgesucht. Uns notiert wann und wo die Sonne auf- und wieder unter gehen würde. Bei der Tourplanung waren wir auch konsequent: keine Touristenattraktionen. Keine Schlösser und keine Burgen. Keine Whisky-Destillerie, kein Dudelsackmuseum und keine Kiltschneiderei. Kein Nessi und auch kein Eilean Dolan Castle. Und immer schön im weiten Bogen um Edinburgh und Glasgow. Unsere Gastgeberin schüttelt ungläubig den Kopf. Wir erklären ihr, dass wir vor allem das natürliche, wilde Schottland entdecken wollen. Das wir in unseren Bildern die mystische Landschaft der Highlands zeigen möchten.
Und so rät sie uns, morgen den Loch Coruisk zu besuchen. Über Funk fragt sie den Seewetterbericht ab. Es soll aufklaren. Prima, denn diesen Spot hatte ich ohnehin auf dem Plan. Auf einem Trawler setzen wir am nächsten Morgen auf eine kleine Halbinsel über. Der schottische Wetterbericht erweist sich einmal mehr als Blick in die Glaskugel. Aller Vorhersagen zum Trotz: Regen, Regen, Regen. Das einzig Heitere an diesem Tag ist eine Robbenfamilie, die vergnügt durch das aufgewühlte Wasser plätschert. Amüsiert beobachten die Tiere durch ihre großen Kulleraugen die triefenden Gesichter, dort oben auf dem Kutter.
Auch in den nächsten Tagen zeigt sich das Inselwetter wenig gnädig. Alle Pläne, großartige Orte wie Quiraing, Kiltrock oder Nest Point abzulichten, fallen sprichwörtlich ins Wasser. Schließlich verlassen wir Skye ohne ein einziges gefälliges Bild. Wir hoffen auf etwas mehr meteorologisches Wohlwollen auf der nächsten Hebrideninsel.
Fortsetzung folgt..