Die Seiser Alm – sie ist wohl der Inbegriff für die Schönheit der Dolomiten. Die Alpe di Suisi, wie sie auf Italienisch heißt, steht wie stellvertretend für den charakteristischen Gegensatz der die Dolomiten so besonders macht: saftiggrüne Almen mit bunten Alpenblumen treffen auf monumentale, schroffgezackten Bergmassive wie Schlern, Lang- oder Plattkofel. Die größte Hochalm Europas liegt oberhalb der weltberühmten Tourismus-Orte Seis am Schlern, Kastelruth und St. Ulrich in Gröden. Zwar gehört sie zum UNESCO-Weltnaturerbe Dolomiten. Das schützt sie aber dennoch nicht vor den Besucherscharen, die sommers wie winters die einzigartige Alpenkulisse bestaunen wollen.
Als ich gestern das erste Mal seit Jahren (siehe mein Artikel zur letzten Dolomiten-Tour) wieder auf der Seiseralm war, ging es hier zu wie auf dem Jahrmarkt. Es war der erste schöne Tag meiner frühsommerlichen Alpentour. Also ließ ich zum Unverständnis meines Hotels das Abendessen sausen und suchte nach passenden Standorten für Sonnenuntergang und Sonnenaufgang. Schließlich hatte ich eine wunderschöne Location mit grandiosem Ausblick auf Lang- und Plattkofel gefunden. Den tollen Blick wussten aber auch andere zu schätzen. Eine japanische Workshop-Truppe mit gut 20 Leuten belegte so ziemlich alle guten Spots. Nett sind sie trotzdem und bieten mir sogar ein Bier an. Eine weitere Fototruppe nervte mit ihren surrenden Drohnen, die mir zudem permanent durch den Bildaufbau flogen. Nicht zu vergessen die diversen Tagestouristen, die auf ihren Picknickdecken mit viel Bier und Wein auf den Sonnenuntergang warteten und jede Menge Radau machten. Nicht gerade Optimalbedingungen für gepflegte Landschaftsfotografie, aber eben auch nicht wirklich überraschend. Ich versuchte das Beste daraus zu machen und setzte einfach darauf, dass es morgen früh ruhiger würde. Vor allem hoffte ich aber inständig, dass sich das gute Wetter halten und es endlich mal vernünftiges Morgenlicht geben würde. In den letzten Tagen hatte sich Petrus nicht gerade gefällig gezeigt. Fast jeden Tag Regen und Nebel, geschweige denn gute Sonnenauf- oder Sonnenuntergänge.
Als ich heute morgen gegen halb Fünf nahe des Schlern aufbreche, ist noch alles zugenebelt. Aber immerhin, kein Regen. Ich bin erleichtert. Nach 20 Minuten Fahrt bin ich wieder an meinem Spot. Und frohlocke gleich doppelt. Abgesehen von einem Almbauern auf seinem Traktor begegne ich keiner einzigen Menschenseele. Ich bin tatsächlich alleine hier. Nach dem Tohuwabohu gestern Abend ist das fast etwas surreal. Der Nebel lichtet sich wabernd und gibt langsam den Blick auf die majestätischen Bergzacken frei. Am Horizont bilden sich langsam purpurne Farbbänder und läuten den neuen Tag an. Endlich mal ein richtiger Sonnenaufgang. Und was für einer.
Die Endorphine rauschen durch meinen noch etwas müden Körper und verjagen die Kälte aus meinen Gliedern. Für Anfang Juni ist es noch ziemlich frostig hier oben. Das Morgenlicht wird von Sekunde zu Sekunde immer intensiver. Illumniert die Nebelschwaden und lässt schließlich die Gipfel von Langkofel und Plattkofel in Flammen stehen. Die welligen Hügel zu meinen Füßen reflektieren sanft das Morgenlicht, die ersten Sonnenstrahlen malen hier und dort einen goldenen Lichtstreif. Morgentau glitzert auf den bunten Alpenblümchen.
Gebannt starre ich auf die Tolkieneske Kulisse, die jetzt bei Tagesanbruch schon etwas wie das Auenland anmutet. Es würde mich nicht wundern, wenn an einem der Holzhäusschen plötzlich eine knarrende Tür aufginge und Frodo Beutlin erschiene. Vielleicht um mir einen Hobbit-Kaffee anzubieten? Den würde ich wegen des Schlafdefizits der letzten Tage durchaus gut gebrauchen können.
Aus der Hobbit-Bewirtung wird leider nichts, dafür verwöhnt mich Mutter Natur: Ich genieße diese Ruhe. Und dieses Licht. Es ist der bislang einzige wirklich schöne Morgen auf dieser Tour, der für die Enttäuschungen der letzten Tage entschädigt. Ich fotografiere gut eine Stunde bis schließlich wieder die japanische Workshop-Truppe mit drei Bussen aufkreuzt und mich lautstark grüßt. Irgendwie hätten sie sich in der Zeit vertan, erzählt mir der Seminarleiter fast etwas verlegen. Vielleicht lag es ja auch am Sake gestern Abend, denke ich mir und kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. Pech für die Japaner, Glück für mich. Trotz japanischem Understatement können die Kollegen aus Fernost ihre Enttäuschung nicht ganz verbergen, als ich ihnen auf meinem Kameradisplay zeige, was sie gerade verpasst haben. Zufrieden und hungrig trete ich den Rückzug zum Hotel an. Ich freue mich so was von auf meinen Kaffee, auch wenn er nun von Lavezzo und nicht von Frodo ist.
Hi David,
Schöner Artikel, eine Frage nur dazu. Du schreibst dass du nahe des schlern aufgebrochen bist und nach 20 Minuten fahrt am Spot angekommen bist. Darf man da oben mit dem Auto Rum gurken?
LG Daniel
Hi Daniel,
vielen Dank für das Lesen des Artikels und dein nettes Feedback. Grundsätzlich darfst du dort oben „nicht einfach so herumfahren“, sondern genau genommen nur bis zu deiner Unterkunft. Ich denke aber, so früh am morgen und wenn man nicht gerade den landwirtschaftlichen Fahrzeugen im Weg steht sagt keiner was. War zumindest bei mir so. Die Einfahrtgenehmigung zur Seiser Alm an sich bekommst du im Tal an einem Infohäusschen bei Vorlage deiner Buchung.
LG, David
Hallo David,
ein schöner Artikel.
Einen kleinen Einspruch möchte ich trotzdem erheben. An den Wegen der Alm ist das Parken grundsätzlich verboten, Bußgeld (Stand 09/19) ca. 115 EUR, wegen Falschparkens. Verstehe mich nicht falsch, aber wenn jeder mit seinem Auto auf der Alm ankommen und es irgendwo abstellen würde (Parken an der Unterkunft ausgeschlossen), dann würdest du dich sicherlich auch Morgens genau so ärgern wie du es den Abend davor getan hast. Die Natur ist natürlich für alle da, aber bitte halten wir uns auch an die aufgestellten Regeln, um sich an ihr weiterhin so erfreuen zu können…
Hallo Daniel,
vielen Dank für das Lesen des Artikels und dein nettes Feedback und deine Hinweise.
Nun habe ich einen Einspruch zu deinem Einspruch 😉 Ich habe im Text nichts davon geschrieben, das ich mein Auto „irgendwo abgestellt“ hätte. Tatsächlich habe ich dieses an einem nahegelegenen Hotelparkplatz abgestellt, was ich vorher auch so mit dem Hotel abgestimmt hatte. Also alles in Ordnung und kein Bußgeld. Es ging ja auch eher darum, ob die Almwege überhaupt befahren werden dürfen und das darfst du genau genommen nur bis zu deiner Unterkunft. Ansonsten bin ich d´accord mit dir 🙂
Liebe Grüße,
David