Patagonien. Der geheimnisvolle Klang dieser zehn Buchstaben lässt die Herzen von Bergliebhabern und Weltenbummlern unweigerlich höher schlagen. Apropos Höhe – einige der spektakulärsten Berggipfel der Welt wie Cerro Torre, Fitz Roy oder die Torres del Paine sind hier zu Hause. Die abgelegene Region am äußersten Zipfel Südamerikas verheißt opulentes Naturkino und unendliche Wildnis. Schon Charles Darwin schwärmte in seinen Reiseberichten von der spröden Schönheit der Szenerie. Die Faszination ist bis heute ungebrochen und auch mich hat es irgendwann gepackt. Auf einer mehrwöchigen Trekkingtour habe ich mich von den legendären Bergikonen am sprichwörtlichen Ende der Welt verzaubern lassen. Mit meinem Patagonien Reisebericht und Bildern möchte ich Euch am herben Charme dieser Sehnsuchtsregion teilhaben lassen.
Inhaltsverzeichnis
Patagonien – ein Sehnsuchtsziel
Viele Landschaftsfotografen fühlen sich von Patagonien magisch angezogen, verspricht doch die Region am südlichen Ende der Welt atemberaubende Bilder. Und so stand Patagonien schon ziemlich lange ziemlich weit oben auf meiner nicht gerade übersichtlichen Must-See-Liste.
Im April 2017 war es dann endlich soweit. Die Flugtickets nach Argentinien waren gebucht. Zelt, Schlafsack und Fotoausüstung waren in den Trekkingrucksack gestopft. Sonst nur das Allernötigste. Leichtes Gepäck war angesagt, schließlich stand eine vierwöchige Backpacker-Tour durch die Nationalparks Los Glaciares in Argentinien und Torres del Paine in Chile und zu anderen Highlights bevor. Und damit gut 200 Kilometer und mehrere tausend Höhenmeter zu Fuß. Etwas Respekt hatte ich ja schon vor meinem eigenen Vorhaben.
Meine Reise habe ich bewusst für April geplant. Da auf der Südhalbkugel die Jahreszeiten umgekehrt sind, ist dann in Patagonien Herbst. Somit stehen nicht nur die Chance für eine kunterbunte Tundravegetation ganz gut. Auch das Wetter ist ruhiger, vor allem sind weniger der berüchtigten Stürme zu erwarten, auch wenn es dafür kälter ist. Vor allem aber ist der Gros der Touristen schon wieder weg, weil diese eher im Sommer nach Patagonien kommen.
Herbst in Patagonien: die schönste Reisezeit für Fotografen
Der Patagonien Reisebericht beginnt mit einem Deja-vú
„Diese Erde ist eine unbarmherzige Liebhaberin. Sie ist verhext. Sie ist eine Zauberin! Sie nimmt dich in ihre Arme und lässt dich nie wieder gehen.“ Knarzend verkünden die Bordlautsprecher verkünden den Landeanflug auf Buenos Aires. Ich klappe meinen alten Bruce Chatwin Schmöker aus Jugendtagen zu. „In Patagonien“ steht in großen Lettern auf dem vergilbten Einband. Die pathetischen Worte des Reiseklassikers hallen in mir nach, steigern meine Vorfreude auf die nächsten Wochen ins Unermessliche. Endlich ist es soweit. Wenn ich denn so weit komme.
Kurz vor meinem Abflug erfahre ich, dass ein landesweiter Generalstreik gegen die miserable Wirtschaftslage in Argentinien droht. Es wird erwartet, dass das öffentliche Leben für Tage zum Erliegen kommt und der Flugverkehr eingestellt wird. Das mulmige Gefühl eines Deja-vú beschleicht mich. Vor sechs Jahren stand ich schon einmal vor der verschlossenen Haustür des südlichen Patagoniens, damals auf der chilenischen Seite. Auch damals ging wegen eines Generalstreiks nichts mehr, tagelang hing ich fest und musste schließlich unverrichteter Dinge wieder abreisen. Wiederholt sich nun etwa die Geschichte und endet mein Patagonien Reisebreicht schon wieder, ehe eher begonnen hat?
Erinnerungen an meinen letzten Trip nach Patagonien: da es nach Süden nicht mehr weiter ging, bin ich eben nach oben gegangen
Buenos Aires und die Ruhe vor dem Sturm
Als ich im Morgenrot auf dem Ezeiza Airport lande, herrscht scheinbar ganz normale Betriebsamkeit, an den Anzeigetafeln ist nichts von Cancelations zu lesen. Noch nicht. Doch ich muss noch zum 40 Kilometer entfernten Domestic Airport Jorge Newberry. Dieser befindet sich direkt im Zentrum der quirligen Hauptstadt, malerisch gelegen am Atlantik. Da mein Flug nach El Calafate erst am späten Nachmittag geht, wollte ich eigentlich den Tag nutzen, um auf Tuchfühlung mit der argentinischen Kapitale zu gehen. Das spare ich mir nun lieber und steige direkt ins nächste Taxi, welches sich auf breiten Highways und Prachtboulevards durch den morgendlichen Verkehrsstau der 13-Millionen-Metropole quält. Da es nur im Schneckentempo vorangeht, komme ich doch noch zu meinem Sightseeing, bewundere zwischen futuristischen Skyscrapern die altehrwürdige Architektur der Hauptstadt. Habe ein kurzes Tet-a-tet mit dem Präsidentenpalast Casa Rosada, der Plaza de Mayo, dem Teatro Colón und dem unübersehbaren Obelisken auf dem Prachtboulevard Avenida 9 de Julio.
„No lo sé – keine Ahnung.“ – ratloses Schulterzucken am Counter der Aerolíneas Argentinas. Ob mein Flug nach Patagonien heute noch abheben wird, steht angesichts der aktuellen Lage in den Sternen. Aber es seien noch Plätze auf der 9 Uhr-Maschine frei, ich könnte ausnahmsweise früher mit. Ich lasse mich nicht zweimal bitten und bin schon kurze Zeit später in der Luft. Aufatmen.
Am Abend, 3000 Kilometer weiter südlich, lasse ich mir in El Calafate mein erstes Cerveza Austral munden. Die Bilder des Tages flimmern über den Fernseher des Hostales. Hundertausende Demonstranten, Wasserwerfer, Straßensperren, gähnend leere Flughäfen und Bahnhöfe. Über 60.000 gestrandete Flugreisende. Puh, da habe ich nochmal Glück gehabt. Dann kann das Abenteuer Patagonien ja losgehen.
Typisch Patagonien: Pampa, bizarre Vegetation und endlose Weiten
Patagonien – Grenzenlos und undefinierbar
Patagonien ist bekannt für seine Weite, die grenzenlos scheint. Und das ist hier wortwörtlich gemeint. Denn bis heute ist die geografische Abgrenzung immer noch nicht ganz klar. Die meisten Traveler meinen mit Patagonien den südlichsten Zipfel Südamerikas. Geografen verstehen darunter heute meist eher ein Gebiet, dass auf der Landkarte viel weiter oben beginnt und sich südlich der Flüsse Río Colorado in Argentinien und Río Bío Bío in Chile sowie nördlich der Magellanstraße befindet und sich von der Pazifikküste im Westen bis zum Atlantik erstreckt. Manche zählen auch Feuerland und Kap Hoorn dazu. Und für die Einheimischen ist das echte Patagonien sowieso nur dort, wo sie selbst wohnen. In einem sind sich aber alle einig: Patagonien ist so unvorstellbar groß, dass es nicht in ein Land allein passt. Tatsächlich teilen sich Chile mit vier und Argentinien mit fünf Provinzen die Region untereinander auf und liegen darüber im Dauer-Clinch. Manche Grenzziehung ist immer noch nicht abschließend geklärt.
Ebenso uneins ist man sich über die Herkunft des Namens. Es gibt viele Theorien und die bekannteste schreibt die Namensfindung dem portugiesischen Seefahrer Magellan zu. Dieser bewies auf seiner Weltumsegelung nicht nur, dass die Erde keine Scheibe ist, sondern erreichte mit seiner Armada im Jahr 1520 auch Feuerland. Dort begegnete er den Tehuelche, den indigenen Ureinwohnern. Beindruckt von ihrer hochgewachsenen Statur benannte er sie nach dem Riesen Pathagón aus den Novelas de Caballería, damals populären Rittergeschichten. So jedenfalls ist es im Bordtagebuch des Entdeckers vermerkt.
El Calafate – Tor zum Patagonischen Inlandseis
El Calafate – Tor zur Gletscherwelt
Kein Patagonien Reisebericht ohne putzige Tiere
Perito Moreno – Wo die Gletscher noch wachsen
Nach einer Stunde Fahrt durch die weiter Pampa und hügelige Badlands stehe ich vor einem großen gusseisernen Tor. Einlass wird nur gegen Ticket gewährt und die Pforte zum Gletscherparadies ist auch nicht immer geöffnet. Ein Schild weist auf Öffnungszeiten hin und leider sind diese überhaupt nicht Fotografen-freundlich: zu spät für den Sonnenaufgang und zu früh für den Sonnenuntergang. Na toll. Ich passiere und gelange nach weiteren zwanzig Minuten Fahrt an einen Parkplatz.
Hier beginnen die „Glacier Walkways“ ein kilometerlanges Wegenetz aus Holzstegen, dass sich über mehrere Etagen erstreckt, die immer wieder neue Aussichten und unzählige Fotomotive offenbaren. Mal ist man ganz nah am Eis, mal überblickt man die riesige Masse aus der Vogelperspektive. Es lohnt sich genügend Zeit mitzubringen und dafür einen halben Tag einzuplanen. Denn die Impressionen sind atemberaubend.
Glacier Walkways
Der Perito Moreno besteht aus einer über 700 Meter dicken Eisschicht und ergießt sich über 30 Kilometer Länge aus den Anden direkt in den Lago Argentino. Als ich schließlich auf der vorderen Plattform stehe, wird mir die gewaltige Größe des Gletschers so richtig bewusst. Seine fotogene Vorderseite ragt wie eine riesige Wand fast 80 Meter aus dem Wasser und das ist nur die hier sprichwörtliche Spitze des Eisbergs. Spätestens wenn unten eines der Expeditionsboote wie ein Kinderspielzeug an den Eisriesen vorbeifährt, begreift man die gigantischen Dimensionen.
Plötzlich beginnen die Holzplanken unter mir zu vibrieren, so also würde ich Jumbojet direkt neben mir starten. Begleitet von einem erdbebengleichen Donnern und Krachen bricht direkt vor mir ein riesiger haushoher Eisblock ab und verursacht im türkisen Wasser einen halben Tsunami. Wow, was für ein Schauspiel.
Der riesige Perito Moreno Gletscher als Panorama: so groß, dass er nicht auf ein Bild passt
Mehr als 60 Meter Gletscher kalben Monat für Monat von der Abbruchkante. Zum Glück gibt es regelmäßig Nachschub wie aus der Eismaschine. Der Gletscher wächst nämlich immer weiter. Ein Mysterium auch für Glaziologen, denen sonst eher die Sorgenfalten wegen zurückgehender Gletscher auf der Stirn stehen. Die Wolken über dem Gletscher färben sich langsam rot und mein Kamera-Auslöser rattert. Sonnenuntergang.
Moment mal, war da nicht was? Vor lauter Euphorie habe ich glatt die Zeit vergessen. Ein Blick auf die Uhr zeigt mir, dass der Park längst geschlossen ist. Es dauert nicht lange, bis oben am Hang zwei Ranger auftauchen, laut rufend und wild gestikulierend laufen sie auf mich zu. In Gedanke sehe mich schon in Handschellen aus dem Park fahren. Schließlich habe ich schon öfters gehört, dass mit argentinischen Wildhütern nicht zu spaßen ist und Touristen schon mal festgesetzt werden, wenn sie sich nicht an die Regeln halten. Zu meiner Überraschung sind die Ranger dann aber recht nett und geleiten zwar bestimmt und mit strengem Blick, aber doch im freundlichen Smalltalk aus dem Park. So angeregt wir auch plaudern, ich kann sie leider nicht überzeugen, am nächsten Morgen vor Sonnenaufgang in den Park zu dürfen.
Eiswelten wie aus dem Märchenbuch
Nirgendwo ist auch ein Ort: die Pampa
Die nächste Station meiner Reise beginnt wieder mit El. Das Bergsteigerdörfchen El Chaltén ist ebenso winzig wie beliebt bei Patagonien-Reisenden. Gleich am Tag meiner Anreise habe ich mir deshalb eines der begehrten Bus-Tickets besorgt. Am Nachmittag geht es dann einmal quer durch die Pampa. Stundenlang holpern wir am Lago Viedma entlang, dessen türkis glitzernde Wellen etwas Freundlichkeit in die Tristesse zaubern. Patagonien ist bekannt für seine Bergikonen. Sehr viel häufiger aber ist aber die endlose flache Pampa, wie ich spätestens jetzt auch weiß. Dazu gehören auch viel Staub und an Haaren und Nerven zerrender Wind. Stundenlang fahren wir durch das Nichts, irgendwann in Trance vor lauter graubrauner Monotonie. Ich denke an die treffenden Schilderungen des amerikanischen Schriftstellers Paul Theroux aus seinem Patagonien Reisebericht: „Die Landschaft machte einen trostlosen Eindruck… Ich dachte: Nirgendwo ist auch ein Ort.“
Pampa und wüstenartige Badlands in Patagonien
Doch dann tauchen sie urplötzlich wie Fatamorganen aus der flachen Ebene auf. Steil aufragende, über 3.000 Meter hohe Felsdome, die wie steinerne Monolithen den Himmel und die Wolken berühren. Ein Anblick, der magnetisiert. Die schläfrige Stimmung im Bus wandelt sich schnell zu euphorischen Ahs und Ohs. Nasen drücken sich an der Fensterscheibe platt und der Bus nimmt eine bedenkliche Schieflage ein. Der Fahrer ist umsichtig und legt eine Bio- und Fotopause ein.
Mein erster Blick auf die Stars der patagonischen Bergwelt
Schnell schnappe ich mir mein Tele, hüpfe nach draußen und werde nie den Augenblick vergessen, als ich im roten Abendlicht das erste Mal die unverkennbaren Silhouetten von Fitz Roy und Cerro Torre erblicke. Natürlich hatte ich diese weltbekannten Bergstars schon tausendfach zuvor auf Landschaftsbildern gesehen. Und doch war ich sprachlos, als sich das gewaltige Gipfelensemble zum ersten Mal leibhaftig vor mir aufbaute. Das war dann wohl Liebe auf den ersten Blick.
In der Nacht erreichen wir endlich El Chaltén. Wie es dort weitergeht erfährst du im zweiten Teil meines Patagonien Reiseberichts.