Im zweiten Teil meines Patagonien Reiseberichts habe ich Dich von El Chaltén in den Nationalpark Los Glaciares und zum legendären Turmberg Cerro Torre entführt. Im dritten Teil erzähle ich dir, was ich rund um den König Patagoniens, den einzigartigen Mount Fitz Roy erlebt habe.
Am nächsten Morgen weckt mich ohrenbetäubender Lärm an der Laguna Capri. Als ich nach oben schaue, wackelt das Zeltdach bedenklich und die Nylonbahnen schlagen mir regelrecht um die Ohren. Als ich heraus trete, kann ich mich kaum auf den Beinen halten. Der See ist jetzt aufgepeitscht, wilde Wellenberge brechen sich am Ufer. Aus der geplanten Spiegelung des morgendlich leuchtenden Fitz Roy wird so natürlich nichts. Dafür wabbern schon wieder UFO-Wolken über die Lagune, dieses Mal zum Greifen nah. Ich versuche, ein Stativ aufzustellen, was aber angesichts der heftigen Orkanböen schlicht unmöglich ist. Also müssen ein paar windwacklige Schnappschüsse aus der freien Hand jetzt reichen. In den nächsten Stunden beruhigt sich das Wetter wieder, so dass ich am Nachmittag meinen nächsten Spot suche.
Außerirdisch anmutende Wolken und Sturm an der Laguna Capri
Buße tun an den Kaskaden des Rio Fitz Roy
Der Rio Fitz Roy entspringt einem Gletschersee und bahnt sich seinen Weg durch die Berge in unzähligen Kaskaden und Mäandern, bis er schließlich in El Chaltén ankommt. Auf seiner langen Reise hinunter gibt es ein Tal, bei dem sich die Fluten genau vor dem Fitz Roy Massiv in einem gewaltigen Wasserfall vereinen. Zu Hause hatte ich die Stelle lange mittels Google Earth gesucht, schließlich gefunden und mir die GPS-Daten gespeichert.
Heute möchte ich zu Sonnenuntergang dort sein. Einen Wanderweg oder Pfad dorthin gibt es freilich nicht. Und so muss ich wohl oder übel direkt einen rutschigen Abhang hinunter, der vollends bewachsen mit dornigen, mannshohen Büschen ist. Schließlich komme ich am Ort meiner Träume an, Beine und Arme blutig zerkratzt und juckend.
Linderung verschafft der eiskalte Gletscherfluss, in den ich jetzt ohnehin steigen muss, um mein Bild zu bekommen. In den Stromschnellen finde ich ein glibberiges Granitplateau, auf das ich vorsichtig, barfuß und samt meiner Ausrüstung klettere. Ich muss höllisch aufpassen, nicht abzurutschen. Das eiskalte Wasser sticht wie Nadeln auf meiner Haut, aber irgendwann spüre ich meine Füße ohnehin kaum noch. Ich beiße die Zähne zusammen, denn diese Chance kann ich mir nicht entgehen lassen. Die Kulisse ist einfach zu atemberaubend: die auf mich zustürzenden Kaskaden des Wasserfalls, eingebettet in ein kunterbuntes Herbstkleid und über allem residiert seine Majestät Fitz Roy im leuchtenden Abendhimmel. Als ich das Motiv im Kasten habe und wieder aus dem Wasserfall gekrochen bin, massiere ich erst einmal 10 Minuten meine Füße, bis ich sie langsam wieder spüre. Schließlich brauche ich sie noch, denn jetzt geht es den dornigen Berg wieder rückwärts hinauf. Ich fühle mich wie ein pilgernder Büßer, der sich selbst geißelt.
Ein Wasserfall wie aus dem Bilderbuch, dafür quält man sich schon mal
Campamento Poincenot und ein doppelter Fitz Roy
Heute möchte ich auf Tuchfühlung mit dem König gehen, dem über 3.400 hohen Fitz Roy ganz nahekommen. Mein Ziel ist das Campamento Poincenot zu seinen Füßen. Auf sumpfigen Wegen geht es vorbei an Laguna Madre, Laguna Hija, Laguna Nieta und anderen Seen, die mal azurblau, mal türkis, mal nachtblau schillern. Bald geht es hinauf auf schmale Grate, von denen immer wieder neue Aussichten auf das gewaltige, temperamentvoll gezackte Massiv die Sinne betören. Ich fotografiere fast mehr, als ich laufe. Der gewaltige Felsdom kommt immer näher und der Tag neigt sich bald seinem Ende zu. Als das Abendrot einsetzt, legen sich Wolken wie ein Schlafkissen hinter den Gipfel. Plötzlich, nur für Sekunden, erscheint in ihnen ein Schatten des Fitz Roy. Ein Brockengespenst – und das mitten in Patagonien! Viel später als geplant und mal wieder in der Dunkelheit komme ich im Camp an.
Auch hier ist ein windschiefes Holzdixie die einzige Konzession an die Camper. Trotzdem ist es deutlicher voller als bisher. Das liegt wohl daran, dass der legendäre Aufstieg zur Laguna de los Tres hier startet. An diesem Gletschersee ist man dem Fitz Roy so nah wie nirgendwo anders. Das ist auch mein Plan für den morgigen Sonnenaufgang und ich müsste schleunigst im Zelt verschwinden. Doch ich bin noch zu sehr vom Blick nach oben fasziniert, um einzuschlafen. Der aufgehende Mond strahlt das Fitz Roy Massiv an und verleiht ihm ein wahrlich mystisches Antlitz. Das sieht so verführerisch aus, dass ich doch nochmal aus dem Zelt krabbele und mir die Kamera schnappe.
Eine Vollmondnacht unter dem Fitz Roy, schöner gehts fast nicht
Fitz Roy und Laguna des Los Tres
Das bereue ich am nächsten Morgen, als kurz nach Vier der Wecker klingelt. Ich bin zwar todmüde, muss aber raus, wenn ich es noch zu Sonnenaufgang zur Lagune schaffen will. Die ist zwar nur etwas über einen Kilometer entfernt, aber nur über einen extrem steilen Anstieg zu erreichen. Nachdem ich das Camp über die kleine Brücke des Río Blanco verlasse, sind noch gute 440 Höhenmeter zu bewältigen. Der Fitz Roy verschwindet langsam hinter den Flanken, während ich mich im steilen Zickzack über Schotter und Geröll den Moränenhang hochwuchte. Sehr viel weiter oben sehe ich die Stirnlampen anderer Gipfelstürmer leuchten. Bin ich vielleicht schon zu spät dran? Ich lege noch einen Zahn zu. Völlig durchgeschwitzt stehe ich auf einmal oben am Kamm. Unter mir der smaragdene See, in den eine riesige Gletscherzunge ragt und über ihm die gewaltige Ostwand des Fitz Roy zum Greifen nah. Dahinter beginnt direkt das patagonische Inlandeis. Unten am Ufer haben sich schon einige andere Fotografen postiert. Von hier oben sehen sie aus wie Ameisen und machen die gewaltigen Dimensionen begreifbar. Ich selbst schaffe es nicht mehr bis Sonnenaufgang hinunter, denn kaum angekommen beginnt auch schon das Gipfelglühen. Wenig später ist es vorbei mit der Farbe, graue Wolken verhängen den Himmel, eisiger Wind landet auf.
Da ich mich einmal hochgequält habe, bleibe ich trotzdem hier, mache das ein oder andere Selfie, gehe zum Ufer, an dem ich mittlerweile allein bin. Von dort führt ein schmaler Pfad zu einer weiteren traumhaften Lagune, welche die meisten gar nicht entdecken: die leuchtend türkise Laguna Sucia mit ihrem Hanggletscher.
Nach schweißtreibender Frühsport-Einheit: endlich da und ganz nah am Fitz Roy
Geheimnisvolle Moorseen und Rückkehr in die Zivilsation
Bis zum Abend ist der Himmel wieder aufgeklart. Eigentlich wollte ich nochmals hoch zur Laguna de los Tres, aber angesichts brennender Knie spare ich mir das. Stattdessen verlasse ich das Camp genau in die andere Richtung und erreiche ein geheimnisvolles Moorgebiet. Dieses ist übersät mit duzenden kleinen Wasserlöchern, in denen sich das Abendlicht und die Bergwelt spiegeln. Ich steige auf eine kleine Anhöhe, auf der ich von verkrüppelten Baumstämmen umgeben bin und die Tümpel zusammen mit dem leuchtenden Fitz Roy auf ein Bild bekomme.
Mystische Moorkulisse am Fitz Roy
Als ich am nächsten Mittag nach über einer Woche Wildnis wieder zurück nach El Chaltén kehre, fühle mich ziemlich zerschunden, aber auch glücklich über die unvergesslichen Eindrücke. Vor allem bin ich dankbar, über das dann doch überraschend stabile Herbstwetter. Ich kann es kaum erwarten, meine fotografische Ausbeute auf dem Laptop anzusehen.
Jetzt sehne ich mich aber erstmal nach einer heißen Dusche, bin aber so ausgelaugt, dass ich den erstbesten Pub nach dem Ortseingang ansteuere, meinen Rucksack fallen lasse und mir ein riesiges Steak gönne (heute würde ich etwas anderes wählen, da ich mittlerweile Vegetarier bin). Und ein großes Bier, das ich fast in einem Schluck herunterkippe. Den Rest des Tages erhole ich mich von den Strapazen der Tour, wasche meine Sachen und packe für den nächsten Abschnitt meines Patagonien-Abenteuers.
Bevor der beginnt, möchte ich aber am Abend noch einmal an den ersten Aussichtspunkt meiner Tour zurück. Genauer dorthin, wo der Río de las Vueltas in schwungvollen, türkisen Kurven in Richtung Nationalpark mäandert. Meine Lust hält sich zwar in Grenzen, da ich dann doch recht erschöpft von der tagelangen Wanderung durch den Nationalpark bin. Aber wie so oft belohnt das Glück die Fleißigen: es ist zwar ziemlich bewölkt, aber kurz vor Sonnenuntergang blitzt die Patagonische Abendsonne noch einmal durch und zaubert eine mystische Stimmung in die Landschaft. Ich schlürfe den letzten Schluck meines Biers aus und trete zufrieden den Heimweg an. Ja, das argentinische Patagonien hat es wirklich gut mit mir gemeint. Das darf auch gern auf der anderen Seite so bleiben.
Morgen geht es dann mit dem Mietwagen nach Chile, wo ich mich schon riesig auf den Nationalpark Torres del Paine freue. Wie es dort weitergeht, erfährst du im vierten und letzten Teil meines Patagonien-Reiseberichts.
Mein letztes Bild in Argentinien – gut dass ich mich noch einmal motivieren konnte, zurückzukehren
Ein superschöner Patagonien Reisebericht! Tolle Fotos und unterhaltsam geschrieben. Da packt mich doch gleich das Fernweh 🙂
LG und weiter so!
Birgit
Lieben Dank Birgit, das freut mich natürlich sehr zu lesen!
Sommerliche Grüße aus Halle, David!